Sarah Morris
"Die Abstraktion der Sarah Morris"
meyerkainer.at
opening: 11. April 2002. 19.00
better
seeing with reduction - deconstruct for seeing the real thing
more culture>>>
Martin
Prinzhorn
Die
unbewussten, "frühen" Prozesse in der visuellen Wahrnehmung,
die sich primär mit den physischen Eigenschaften der Umgebung befassen
- also noch nicht mit tatsächlicher Objektwahrnehmung oder der
Bedeutung des Wahrgenommenen -, zeichnen sich unter anderem dadurch
aus, dass sie nicht einzelne Teile des Blickfelds in einer Abfolge abarbeiten,
sondern gleichsam in einem Schritt das gesamte Blickfeld einer schnellen,
rohen Analyse unterziehen. Die Gesamtheit und gleichzeitige Schnelligkeit
einer solchen Verarbeitung wird einerseits dadurch ermöglicht,
dass dabei verschiedene parallele Prozesse für verschiedene isolierte
Aufgaben wie die Wahrnehmung von Grenzen und Übergängen, von
Materialeigenschaften, von Farben, von Dreidimensionaltiät und
so weiter zuständig sind. Andererseits wird dem Problem des "Rauschens"
und einer zu hohen Anzahl von Fluktuationen in dieser frühen Wahrnehmung
dadurch begegnet, dass die visuelle Information durch Filter ausgeglichen
wird. So geschieht das Auffinden von Kanten im Bild nicht nur durch
die Identifizierung von Extrema (ein Minimum neben einem Maximum), sondern
gleichzeitig wird in einer mehr oder weniger lokalen Umgebung ein Durchschnitt
berechnet, der kleinere Fluktuationen ausblendet. Je grösser die
Umgebung, desto breiter der Filter und desto höher der Ausgleich.
Solche Annahmen werden nicht nur durch die Logik des kognitiven Modellierens
der Sehfähigkeit motiviert, sondern auch durch das Vorhandensein
von Neuronen in unseren Hirnen, deren Rezeptionsbereich genau für
eine solche "grobe" Wahrnehmung zuständig ist.
Das Trennen verschiedener Wahrnehmungsebenen und das Filtern derselben
bedeutet, formal gesehen, einen Akt der Abstraktion. Wenn man diesen
Akt mit dem üblichen Verständnis von Abstraktion in der Kunst
vergleicht, so ergibt sich ein auf den Kopf gestelltes Bild: Speziell
im Kanon der amerikanischen Kunstkritik wir Abstraktion ja als eine
Art evolutionäre Entwicklung weg von der figurativen Darstellung
hin zu einem "reinen" Bild verstanden, als weiter gehende
Konsequenz, von der Fähigkeit der Repräsentation einer Aussenwelt
zur Repräsentation des Bildes als pures Kunstwerk zu gelangen.
Geht man hingegen von der oben beschreibenen Modellierung unserer Sehfähigkeit
aus, ist Abstraktion eine Voraussetzung dafür, überhaupt zu
einer Repäsentation zu gelangen, von der Inhalte wie Objekte oder
deren Bewegungen ablesbar sind. Sie dient wie ein unmittelbarer erster
Reflex dazu, dem visuellen Input eine Robustheit zu verleihen, ohne
die wir einerseits im Dschungel von zu vielen Details verloren gehen
würden, ohne die wir aber andererseits nicht imstande wären,
aus zu wenig Input die ganze dreidimensionale Welt zu rekonstruieren.
Sie lässt sich hier als ein erster Schritt beschreiben, als ein
Treffen von Annahmen über die Welt, ohne die wir gar nicht beginnen
können, diese zu interpretieren. In dem Sinne, in dem Abstraktion
hier Voraussetzung ist, kann sie nicht Reduktion sein. Ein erses Indiz
dafür, dass es in den Gemälden, Photographien und Videos von
Sarah Morris um Abstraktion in diesem nicht reduktionisitischen Sinne
geht, ist der unmittelbare Eindruck, dass es in ihren Arbeiten trotz
der formalen Beschränkungen keine Konzentration oder Destillation
von schon vorhandenen Inhalten gibt. In klassischen Videoarbeiten der
70er und 80er Jahre entsteht oft durch Wiederholung oder spezifischen
Perspektive eine (manchmal quälende) Kontemplativität, ein
ruhiger Zirkel, in den man sich versenken kann oder muss. In einer Videoarbeit
wie MIDTOWN (2000) scheint es zunächst auch so etwas wie eine rhythmische
Wiederholung bestimmter Einstellungen zu geben. Die ganze Arbeit deutet
aber permanent dahinter liegende Inhalte an, an die sich die visuellen
Momente erst heranarbeiten wollen. Beim Zusehen entsteht der Wunsch,
endlich zu diesen zu gelangen, was aber von der Künstlerin in den
raschen formalen Abfolgen verwehrt wird. Die einzelen Bilder gleiten
über Details und werden zu Metaphern von etwas, das sich noch nicht
wirklich zeigt, das unausgesprochen bleibt, obwohl es
permanent erzeugt wird. Menschen und ihre architektonische Umgebung
werden in derselben Arbeit gezeigt, ohne dass die Menschen zueinander
oder zu ihrer Umgebung gelangen und eine Ganzes bilden. Die Menschen
bleiben untereinander genauso isoliert wie die Gebäude und ihre
Details: Weder die Stadt noch die in ihr lebende Gesellschaft kann sich
im Film manifestieren. In der Arbeit APITAL (2000) ist die inhaltliche
Seite noch deutlicher, das Motiv des grössten Machtzentrums noch
sichtbarer und expliziter; trotzdem gibt es niemals eine Verankerung
des Visuellen in diesem Inhalt, der Film ist so sein eigener Trailer,
selbstständig und doch von sich abhängig. Selbst die beladensten
Motive wie das Oval Office, der amerikanische Präsident oder die
Redaktionsräume der Washington Post reihen sich in die anderen
Szenen in einer Art ein, die sie eher neutralisiert als sie in einen
narrativen Zusammenhang zu stellen. Es werden so aber auch keine Bruchstücke
oder Fragmente von Inhalten gezeigt, wie so oft im modernen Avantgardefilm.
Die Szenen blenden ruhig ineinander über und haben eine gewisse
automatistische Geschlossenheit, die erst im formalen Kontext wieder
verloren geht. In beiden Filmen bearbeitet Morris das Thema Urbanität
und Gesellschaft in dem oben beschriebenen, vorbewussten Sinne: Menschen
und Architektur werden als noch bedeutungslose physische Objekte von
aussen abgetastet, es gibt keine Protagonisten im üblichen Sinn
und die Zusammenhänge, die für die Bedeutung notwenndig wären,
sind noch nicht vorhanden. Ihr Umgang mit dem Thema kann stellenweise
als Umkehrung von Benjamins Moderne gelesehn werden: Wo bei ihm Technik
und Architektur störend in sein biographisches und sehr privates
Narrativ eindringen, sind es bei Morris genau diese Faktoren, die narrative
Elemente (vielleicht) erst ermöglichen.
Die Malerei der Sarah Morris scheint auf einen ersten Blick der Pop-Art
verpflichtet: Speziell in den Arbeiten Mitte der 90er Jahre wird die
Oberfläche von Motiven oder Schriftzügen, die an die alltagskulturellen
Bezüge dieser Zeit erinnern, derart in den Vordergrund gestellt,
dass eine autonome Fläche Inhalte relativiert und eigene Regeln
aufstell. Die Worte auf den Bildern - JOHNNY, NOTHING - haben genauso
wie die Motive - SUNGLASSES, HIGH HEELS (BLUE) - in ihrer Isolation
und Arbitrarität jedoch nichts mehr von der augenzwinkernden Transgression
eines Indiana oder
Warhol an sich. Wiederum ergeben sie auf der inhaltlichen Ebene keinen
Diskurs, im Höchstfall lassen sie als Zitate eine historische Referenz
zu.
Auch formal scheinen sie in ihrer cleanen Neutralität nicht an
irgendwelche spezifisch malerischen Probleme anknüpfen zu wollen,
sondern sich vom Medium unabhängig mit Bildern auseinander zu setzen.
Die Schrift wird nicht durch irgendwelche Fragmentierungen oder Verzerrungen
verfremdet, sondern sie ist so ausfüllend ins Rechteck gesetzt,
dass sie sich nicht mehr auf diesem befindet und es sozusagen erst zusammenhält.
So werden die Bilder nicht in Vordergrund und Hintergrund aufgeteilt,
die Räume zwischen den Buchstaben sind gleichberechtigte Flächen,
das Tafelbild als Objekt wird zum Verschwinden gebracht. Diese Randlosigkeit
wird zum immer zentraleren Moment in der Malerei von Sarah Morris. Die
Künstlerin spricht vom Thema Zerstreuung als einer Strategie, um
zu Dingen zu gelangen, die wir normalerweise nicht sehen. Die Strukturen
und Texturen formen sich zwar niemals zu Objekten, sie sind aber auch
nicht blosses Ornament, da sie sich in ihrer Anordnung nie an das Format
des Bildes halten und auf einen zweiten Blick immer eine Profektion
über Ränder hinaus evozieren. Auch in den Architekturbildern
der späten 90er Jahre gibt es keine Objekte, das Erkennen kann
keinen Weg vom Gesamten ins Detail nehmen, nur umgekehrt. Die Streifen
sind eben nicht einfach die Pfade des Pinsels auf der Leinwand, die
nur in die Malerei führen, es geht nicht darum, Bedeutung aus dem
Bild zu verdrängen, es geht im Gegenteil darum, den Weg zur Bedeutung
zu beschreiben - den Zustand davor. Wenn wir in einer Lichtreflexion
ein Gebäude nicht wirklich als Gesamtheit sehen, so können
wir doch schon einen Teil der Geschichte, ohne eine eigenständige
Bedeutung zu haben. Zertreuung ist hier nicht so sehr die Teilung eines
Ganzen, sondern eher das Herausarbeiten der Teile, die das Ganze erst
sichtbar machen. Las Vegas, das in den Arbeiten der Künstlerin
eine grosse Rolle spielt, ist ein gutes Beispiel für diese komplexe
Vernetzung: Als Objekt mit Grenzen ist die ganze Stadt eigentlich nur
erkennbar, wenn man in der Nacht aus der Wüste auf sie zufährt
und sie den Eindruck einer Kolonie auf einem fernen Planeten vermittelt.
Befindet man sich einmal in der Stadt, ist es fast unmöglich, die
diskreten Objekte als solche direkt auszumachen. Alles scheint voneinander
abhängig zu sein, da sind nicht Gärten, in denen Gebäude
stehen, sondern die Gebäude erweitern sich zu Gärten und die
Lichtinszenierung und ununterbrochene Spiegelung verstärkt noch
den Eindruck einer allumfassenden Umwelt am Rande des Amorphen. So wie
in utopistischen Architekturphantasien der Moderne verschmilzt Natur
und Technik, Öffentliches und Privates zu einer ununterscheidbaren,
pulsierenden Masse. Genau diese Form der Wahrnehmung findet sich auch
in den Bildern von Sarah Morris wieder: Verflechtungen, die eine Perspektive
andeuten. ohne dass wir wissen, wovon; Schrägen, denen die Gerade
als Orientierung fehlt, und Farben, deren Quellen oder Ziele im Off
bleiben.
Beim Betrachten der Bilder werden reflexartige Zusammenhänge hergestellt,
die sich aber dann - zumindest im Bild - an nichts festmachen lassen.
Konstruktion von etwas, was noch nicht vorhanden ist und dennoch nicht
in einem Nebel liegt, sondern klare, deutliche Strukturen besitzt. Konstruktionen
von etwas, was in seiner Gesamtheit eine grosse visuelle Komplexität
besitzt, die es uns vielleicht nicht mehr erlaubt, die deutlichen Strukturen
zu sehen, ohne die wir aber niemals zu einer Gesamtheit glangen können.
Genau in diesem Sinne ist die Abstraktion in den Arbeiten von Sarah
Morris kein Weggehen von der figurativen Bedeutung,
sondern der Weg, der fast zu ihr führt.
fig: Parkett,
No. 61/2001
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