FILMKOSTÜM - FRAUEN IM FILM NOIR
Serie in 5 Teilen

1- Film, Stars und die Sprache der Mode

Kurz nach dem zweiten Weltkrieg kommt Hollywoods schwärzeste Serie von mainstream-Filmen erstmals nach Europa und erhält prompt einen klingenden Namen - Film noir.
„The streets were dark with something more than night“, charakterisiert sich das düstere Film noir-feeling. Da stehen unter der Regie von Fritz Lang, Otto Preminger, Robert Siodmak u.a. Raymond Chandlers, Dashiell Hammetts und James M. Cains hartgesottene Privatdetektive neben neurotischen und skrupellosen Killern im Zentrum realistischer Außenaufnahmen. Da stöckeln sophisticated women selbstbewußt durch das expressionistische Spiel von Licht und Schatten eines dämonisch reflektierenden Großstadtdschungels.

„Film noir ... does give us one of the few periods of film in which women are active, not static symbols, are intelligent and powerful, if destructively so, and derive power, not weakness, from their sexuality.“ - Janey Place. Und wieder einmal liegt der Geruch von Begehren, Verwirrung und Verhängnis in der Luft. Anrüchige Femmes fatales, das magische BAD GIRL und das erotische GOOD BAD GIRL fesseln den typischen Anti-hero des Film noir auf ihre Art - im Gegensatz zu den moderneren, emanzipierten Frauentypen, MASCULINE FEMININE GIRL und INDEPENDENT GIRL. So smart im neuen Kleid hieß die Devise der Traumfabrik, und das nicht nur für die Augenblicke der Sinnlichkeit.

Eine Kriegsverordnung der Regierung zur Kostenbegrenzung der Studio-Mode rückte in den 40er Jahren die Trends der Alltagsmode zwangsläufig ins Filmgeschehen. Das neue Filmkostüm sollte so untheatralisch wie möglich, ready-made und günstig sein. Edith Head, Jean Louis und die anderen Studio-Designer kleideten jetzt die Hollywood-Superstars BARBARA STANWYCK, RITA HAYWORTH und JOAN CRAWFORD unter dem Motto „to dress her down“ ein. Die aktuellen breitschultrigen Standard-out-fits: das Kleid oder die taillierte Jacke mit Rock und Bluse, setzen dem Mythos von den glamourösen Roben der Diven der 30er Jahre ein definitives Ende und etablieren einen neuen Look - das semidokumentarische Filmkostüm.

Im Jahre 1948 vergibt Hollywood erstmals einen Oscar für „costume design“, aber trotzdem bleibt das Kostüm immer ein Stiefkind des Films neben Regie, Drehbuch und Kamera. Die Problematik, daß die Inszenierung des Filmkostüms vom Zuschauer meist nicht bewußt wahrgenommen wird, ist wohl der Grund dafür, daß es kaum Analysen zu diesem Thema gibt. Hinter der selbstverständlichen Zuordnung von Kleidung verbirgt sich aber ein ikonographisches Zeichensystem - eine Sprache der Mode. Die illusionsschaffende Eigenschaft der Kleidung ist einer der wichtigsten Aspekte, unter dem eine Auseinandersetzung mit dem Filmkostüm gesehen werden kann. Das Material zu dieser Untersuchung des Filmkostüms liefern fünf der berühmtesten Film noir-Klassiker: DOUBLE INDEMNITY von Billy Wilder, MILDRED PIERCE von Michael Curtiz, GILDA von Charles Vidor, DARK PASSAGE von Delmer Daves und THE BLUE GARDENIA von Fritz Lang.

Um zu konkreteren Aussagen vorzudringen ist eine strukturale Analyse des Kostüms erforderlich: eine Formulierung jedes einzelnen vestimentären Bestandteils eines Film-out-fits hinsichtlich Form (Matrix 1) und Material (Matrix 2), wobei jeweils zwischen Objekt, Träger und Variante unterschieden wird:

Matrix 1 erfaßt jedes einzelne Kleidungsstück (Kleid, Sakko, Rock, Hose, Mantel, etc.) mittels der Komponenten weiblich/männlich als Objekt, die Beschaffenheit als Träger (z.B. mit oder ohne Ausschnitt) und Gestaltung als Variante (gewickelt oder geschlitzt z.B.). Neben der geschlechtsspezifischen Zugehörigkeit werden aber auch emotionale Faktoren und Eigenschaften im Filmkostüm kommuniziert.

Matrix 2 erfaßt spezifisch die textile Struktur: Material als Objekt (z.B. Frottee oder Wollstoff), Farbe als Träger (weiß, grau) und Muster, Rüschen etc. als Variante (z.B. mit fleuralem Motiv oder Karo). Als hilfreich erweisen sich in diesem Zusammenhang die von realer Kleidung abgeleiteten Konnotationen und Deutungsmöglichkeiten von Materialien, Farben und Mustern. Erst die Decodierung beider Matrixebenen ermöglicht es, Aussagetendenzen des Filmkostüms zu formulieren, die vestimentäre Botschaft des dress-code lesbar zu machen.

In ihrer Auftritts-Szene erscheint das BAD GIRL (Barbara Stanwyck) oben am Treppengeländer zur Halle in ein weißes Badetuch gehüllt. Was dieses Kostüm signalisiert, läßt sich folgendermaßen analysieren:

DOUBLE INDEMNITY
Billy Wilder, 1944
Paramount, 106 Min.

Matrix 1:gewickeltesKleid mit Ausschnitt
VOT
Matrix 2:weißerFrottee mit fleuralem Motiv
TOV

Aussagetendenz:

Matrix 1:Weiblichkeit (O)
Akzentuierung von Erotik durch
schulterfreies Decollete (T)
Matrix 2: Hingabe (T)
Freizeit (O)
Feminität (V)
Accessoires: Haarband, Sonnenbrille
und Pantoffel - Freizeit

Was dieses Kostüm kommuniziert, sind folgende Informationen: Diese Frau ist super-feminin und sexy. Sie verfügt über Zeit; ist „verfügbar“ und gelangweilt, eben bereit für ein Abenteuer mit einem Mann, der zufällig ihr Haus betritt.

Wie im Laufe der Filmhandlung Stil, Styling und Mode eine zweite Haut kreieren, wie die Frau als Ungeheuer, als erotische Wunschvorstellung oder als guter Kumpel charakterisiert wird und daß im Film noir sogar unschuldiges Weiß tödlich sein kann, erfahren Sie im 2. Teil.


© Mag. Rosa Burger 1997
Tel. +43 1 535 94 09
FILMKOSTÜM - Frauen im Film noir
Diplomarbeit, Universität Wien, 1993.


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